Wie die ostbelgischen Soldaten vom Ardennenjäger-Bataillon aus Vielsalm ihre Heimat aus den Lüften sahen ...

Die 15. Transportgruppe der Luftstreitkräfte von Brüssel-Melsbroek führte mit 190 Soldaten Rundflüge über Belgien durch

Ein Bericht vom damaligen Brüssler Mitarbeiter des GE, Kurt Grünebaum
(abgeschrieben mit den damaligen Redewendungen und Rechtschreibregeln)

Die 190 ostbelgischen Soldaten des Ardennenjäger-Bataillons, die im Dezember den Wachtdienst vor den Königlichen Schlössern in Brüssel versahen, erlebten vor ihrer Rückkehr nach Vielsalm noch eine Lufttaufe. Wie wir bereits kurz berichtet haben, waren diese Luftreisen von dem Kommando der Luftstreitkräfte organisiert worden und fanden zwischen Weihnachten und Neujahr in kurzen Abständen statt.

Die 15.Transportgruppe in Melsbroek hatte dafür ein halbes Dutzend grösserer Transportmaschinen zur Verfügung gestellt.

Mehrere Gruppen flogen mit Flugzeugen des Typs C 119, andere Gruppen mit einer DC-3 oder einer DC-4. 

 

 

 

Der erste Sergeant Schmitt und einer seiner Unteroffiziere wirft einen Blick durch die offene  Tür des fliegenden Truppentransporters.

Die letzten 53 ostbelgischen Soldaten, die an diesem Mittwoch, dem 29. Dezember, ihren Rundflug über den Ostkantonen unternehmen sollten, kamen in Begleitung ihres Kommandanten Bleret und ihres Bataillonspfarrers Schomus von Nidrum.

Vorgesehen war an diesem Nachmittag lediglich der Start einer viermotorigen DC-4, die höchstens vierzig Mann hätte mitnehmen können.

Unsere Soldaten hatten aber Glück. Fliegeroberst Burniaux, Kommandant der Operationsgruppe, wollte niemand am Boden zurücklassen.

So mobilisierte er noch eine zweite Flugzeugbesatzung, die mit einer zweimotorigen DC-3 den Rest der Soldaten mitnahm.

Der Mitarbeiter des »Grenz-Echo« zählte zu den Bevorzugten, die an Bord der viermotorigen DC-4 Platz nehmen konnten. Diese luxuriöse Transportmaschine flog noch vor einigen Wochen auf dem Langstreckennetz der skandinavischen Luftverkehrsgesellschaft SAS.

 

Die belgischen Luftstreitkräfte haben sie angekauft. Mehrmals hat sie schon die Reise Brüssel-Kamina und zurück unternommen.

So konnten die Soldaten in roten Plüschsesseln und vor grossen Fenstern Platz nehmen, während ihre Kameraden, die mit den C-l19 flogen, sich mit Bänken und kleinen Bullaugen begnügen mussten.


Die Besatzung kam allen Wünschen ihrer Fluggäste nach.

Jeder Soldat konnte sich in das Cockpit begeben und während des Flugs der Arbeit der Piloten, Funker und Navigatoren zusehen.

Hier die Namen der Besatzung der »OT-CWV«:

  • Oberst Burniaux - Erster Pilot
  • Kommandant Pacco - Zweiter Pilot
  • Hauptmann Chatelle - Erster Navigationsoffizier
  • Adjutant Michel - Zweiter Navigator
  • Adjutant Delcominette - Funker
  • Adjutant Moreau - Erster Bordwart
  • Erster Sergeant Brisaert - Zweiter Bordwart

Für diese, auch für den Zivilverkehr zugelassene Transportmaschine sieht die gestrenge Dienstvorschrift natürlich keine Fallschirme vor, wie dies für die »fliegenden Waggons« des Typs C 119 vorgeschrieben ist.

Dies galt auch für die DC-3 die wenige Minuten vor uns aufstieg.
Als das bekannte »No smoking - Fasten seat belt« (Nicht rauchen - Sitzgurte festschnallen!) in Leuchtschrift über der Tür der Führerkabine erschien, sah man einige beunruhigte Soldatengesichter. Nicht ein einziger der jungen Leute hatte nämlich bis jetzt Gelegenheit, einmal mit dem modernsten Verkehrsmittel Bekanntschaft zu machen. Aufmerksam beobachten sie das Anlassen der Motoren, das Anrollen zur Startpiste und den »Proof«, wobei die Motoren mit Vollgas dröhnten.
Über die Hauptpiste Nr.25 erfolgte der Start. In zweieinhalb Minuten hatten die 5000 PS die 30 Tonnen auf 150 Meter gebracht. Über den Vororten Brüssels wird nach Süden abgedreht und Kurs auf Namur genommen. Zu zweit und zu dritt knien sie vor den Fenstern der Kabine und sehen sich zum ersten Mal die Welt von oben an. Schon tauchen die rot-weiss gestrichenen Funktürme von Tombeek unter uns auf, und um 15.30 Uhr erreichen wir die Maas über Namur. Aus den Lautsprechern schallt Musik. In deutscher Sprache werden die überflogenen Städte und Ortschaften angesagt, die meistens in nicht mehr als 300 Meter Höhe überflogen werden. Das Flugwetter war ausgezeichnet. Nur später, über Verviers, kam man einmal in ein Luftloch.

Von Dinant ging es nach Arlon, Bastogne und Vielsalm. Selbstverständlich wurde in Vielsalm eine Ehrenrunde über der Kaserne gezogen, dem »schönen Jünglingsheim«, wie ein Soldat sagte. »In drei Minuten«, so ertönte es dann aus dem Lautsprecher, sind wir über St. Vith.

Jetzt sind die Soldaten, von denen die meisten aus diesem Kanton stammen, nicht mehr von den Kabinenfenstern wegzubringen.

Jetzt sind sie bei sich zuhause. Einer gibt dem anderen Erklärungen: »Da ist Crombach, Neundorf, Neidingen, Wallerode... « Mancher erkennt den heimatlichen Hof, die väterlichen Wiesen und Felder. Wir fliegen niedrig. Zwischen 250 und 300 Meter Höhe über dem Boden. Die vier Motoren müssen einen ganz anständigen Lärm da unten verursachen. Auf jeden Fall sehen wir hier und da Personen aus den Häusern kommen, die das Flugzeug beobachten. Aber bei 300 Stundenkilometer Fluggeschwindigkeit verschwinden allzu schnell solche Einzelheiten aus dem Gesichtsfeld.
Ueber Ligneuville und an Amel vorbei geht es nach Malmedy. Es ist 16.14 Uhr. In diesem AugenbIick kommt ein Funkspruch aus Brüssel von der Flugkontrolle."Whiskey Victor" (unser Flugzeug) wird darüber unterrichtet, dass "Whiskey-Hotel" - die DC-3 mit der anderen Gruppe Soldaten - um 16.05 Uhr Verviers nach einer Schleife über Eupen überflogen hat.
Von Malmedy strahlen schon die ersten abendlichen Lichter nach oben, als wir einige Kurven über der Stadt ziehen. In nördlicher Richtung hängen tiefe schwarze Wolken.
"Nach Eupen", so sagt uns der Bordkommandant, fliege ich nicht. Für uns ist die Wolkendecke dort jetzt zu niedrig, und ausserdem beginnt es schon dunkel zu werden. 

Dann wendet sich der Kommandant an seinen Navigationsoffizier: "Geben sie mir den Kurs für Brüssel!" Der Navigator nimmt seine Karte, seinen Winkelmesser, ein Lineal und zwei Sekunden später ist der Kurs berechnet. "Cap 252!" sagt er zum Bordkommandanten, der sofort auf dem Kompass mit der Windrose den Kurszeiger entsprechend einstellt. Dann wird ein wenig Gas gegeben. Die vier Motoren laufen schneller, und wir steigen.
Die Wolkendecke wird kurz vor Verviers durchstossen. Bei herrlichstem Sonnenschein geht es dann in 1500 Meter Höhe über dem weissen Wolkenmeer nach Brüssel.
Die Soldaten waren von diesem Flug über den Wolken begeistert. Während unter den Wolken diesiges Winterwetter herrschte, sahen sie hier oben einen strahlend blauen Himmel. Nur einma1 wurde die grosse Einsamkeit dieses Fluges durch eine andere Maschine unterbrochen, die weit in der Ferne einen weissen Kondensstreifen hinter sich liess.

Etwas Fliegerlatein
Etwas Fliegerlatein

Je näher wir Brüssel kamen, desto intensiver wurde der Funksprechverkehr im Pilotenraum. Der Funker hat die Lautsprecheranlage der Kabine mit eingeschaltet, sodass die Soldaten alle Gespräche mithören konnten.
Von dem schwer verständlichen Fliegerlatein möchten wir hier eines der geführten Gespräche wörtlich wiedergeben:

  • Flugzeug an Bodenstelle:
    Hier Whiskey Victor (Rufname unseres Flugzeugs) - fliege in Kontrollbezirk Melsbroek ein - 25 Meilen ost - um 16 Uhr 55 - Flughöhe 5000 Fuss - Erbitte weitere Anweisen - Over (bitte kommen)

Bodenstelle an Flugzeug:

  • Hier O M B (Melbroek) - Sie fliegen in Kontrollbezirk ein - 25 Meilen ost - um 16 Uhr 55 - Höhe 5000 Fuss - Sinken Sie auf 3000 Fuss und halten Sie diese Höhe. Melden Sie, wenn Sie 3000 Fuss erreicht haben - Nehmen Sie Verkehr mit Kontrollturm auf, wenn Sie sich über Vierkurs-Funkfeuer befinden - Over (bitte kommen)

Flugzeug an Bodenstelle:

  • Hier Whiskey Victor - Verstanden - Sinke auf 3000 Fuss - Rufe Kontrollturm - Over (bitte kommen)....

Im weiteren Verlauf des Anflugs erhält der Pilot Anweisungen, die den Gleitweg betreffen. Man fragt ihn, ob das Fahrgestell ausgezogen und verriegelt ist, was übrigens durch drei grüne Lämpchen auf dem Bordbrett erkenntlich ist, und teilt ihm die Stärke des Seitenwindes mit.
Ausnahmsweise hat man einigen Soldaten und uns gestattet die Landung selbst in der Führerkabine mitzumachen. So sehen wir vor uns die hellerleuchtete Piste mit dem Anflugskreuz, auf das wir zugleiten. Der Pilot zieht immer weiter die Landeklappen aus, um die Geschwindigkeit zu verringern. Mit etwa 160 Stundenkilometern setzen wir sanft auf die Piste auf.

Vor dem Flugzeug
Vor dem Flugzeug

Über dem abendlichen Brüssel

 

Der Pilot bringt seine Maschine auf einen der seitlichen Rollwege und ... bittet den Kontrollturm noch einmal um Starterlaubnis. Er wiII nämlich noch einen Flug über das abendliche Brüssel machen.
Vor uns wartet aber noch eine DC 3 der Luftstreitkräfte eine Spezialmaschine der Navigationsschule, auf die Starter1aubnis. An Bord dieses Flugzeugs befindet sich eine Gruppe von Navigationsschülern, die einen fünfstündigen Uebungsf1ug vor sich haben. Diese Maschine hat auf dem Dach mehrere Kuppe1n für Astronavigation. Darin befinden sich besondere Apparate und Sextanten für die Sternbeobachtung. Alle Navigationsoffiziere erhalten näm1ich heute eine besonders gündliche Ausbildung in der Astronavigation, die für Nacht- und Langstreckenflüge notwendig ist.

 

Die Soldaten schnallen in der Kabine wieder ihre Gurte fest. Ein neuer Start beginnt. Der zweite Flug unserer Gruppe über der in vollem Lichterglanz erstrahlenden Hauptstadt war besonders eindrucksvoll. So sahen die ostbelgischen Soldaten auch einmal die berühmten "Brüsseler Lichtwochen" aus einer anderen Perspektive. Zu dieser abendlichen Zeit waren alle grossen Verwaltungsgebäude, die Warenhäuser, die Bahnhöfe, die Geschäftsstrassen noch voll erleuchtet. Hunderttausende von Lichtern strahlten nach oben.
Die Rue Neuve, die Place de Brouckère und der Bou1evard Max übertrafen aber an Lichtintensität alle anderen Strassenzüge. Über Justizpalast und Rundfunkgebäude wurde nach Osten abgedreht und wieder Kurs auf Melsbroek genommen. Der Kommandant bittet um die Landeerlaubnis. Er erhält sie nicht, weil gerade eine Verkehrsmaschine nach London startet. Er zieht die Maschine noch einmal hoch. Bei einer Runde um den Flughafen kann man diesmal die hell erleuchteten Pisten besonders gut erkennen.
Nach diesen beiden Flügen war aber das Programm der Soldaten für diesen Tag noch nicht beendigt. Sie fuhren eiligst nach Tervueren, erhielten ihr Abendessen und dann sahen sie sich in der Monnaie eine Oper an.

 

Wache am Königspalast
Wache am Königspalast

Zum Schluss möchten wir einen Soldaten noch von Angstträumen befreien. »Was gefiel Ihnen am besten in Brüssel?« hatten wir ihn auf dem Flugplatz vor dem Rundflug gefragt. »Die Brüsseler Mädchen«, antwortete er und seine Kameraden lachten herzlich. »Dann werden wir das im Grenz Echo mitteilen« sagten wir scherzhalber. Nach dem Flug klopfte uns der gleiche Soldat auf die Schulter: »Schreiben. Sie doch nicht das von den Mädchen. Was soll meine Braut in X. davon denken. Schreiben Sie doch, bitte, die Besichtigung von Kammer und Senat hätten mir am besten gefallen.. «
 

Wir haben dem jungen, lebenslustign Mann dies nicht ganz geglaubt. Wenn er aber morgen diese Zeilen liest, kann er beruhigt sein. Seinen Namen werden wir nie verraten und nebenbei bemerkt weder seine Braut, noch alle anderen Bräute der Jungens von Vielsalm brauchen sich Sorgen zu machen.

Die ostbelgischen Soldaten haben sich in Brüssel mustergültig aufgeführt, und mit Stolz sagen ihre Offiziere, dass sie nicht einen einzigen Rapport von der Militärpolizei erhalten hätten. Allen Soldaten wünschen wir nun, dass sie nur angenehme Erinnerungen aus Brüssel mitgebracht haben. Der abwechslungsreiche Monat Dezember wird sie gewiss manch Leid und Weh des gewöhnlichen Kasernenleben in der »Grosstadt« Vielsalm vergessen lassen...

 

Text von Herrn Kurt Grünebaum, damals beim Grenz-Echo